Werterhaltung Hochhaus Bogenstrasse: Heimatschutz SG / AI ehrt Umgang mit gebauter Industriekultur.
Die Industrienationen erfuhren in der Nachkriegszeit einen neuen Aufschwung, der sich auch in der Ostschweiz mit herausragender Industriearchitektur erkennen lässt, so beispielsweise im Rheintal (Beldona in Widnau), im Fürstenland (Goldzack in Gossau) oder im Linthgebiet (Weidmann AG in Rapperswil-Jona). Seit 2010 aber hat der Verlust an Arbeitsplätzen durch Auslagerung in ferne Kontinente stark zugenommen. Gesellschaftskulturell und sozialpolitisch sind dies die Schattenseiten globaler Tendenzen. Auf der anderen Seite gilt es, architektonisch wie arbeitskulturell herausragende Gebäude zu pflegen und durch neue qualitative Belebung und Weiterentwicklung für die Zukunft klug zu sichern und dadurch auch Kulturgeschichte weiter zu führen.
Kriterien der aktuellen Verleihung „Goldener Schemel“ waren einerseits die Qualität von Industrieanlagen aus der Zeit 1945-1975, andererseits die betriebliche Weiterführung von Arbeits- und Industrieprozessen oder wie am Beispiel der Bischoff Textil AG in St. Gallen Umnutzungen der Gebäude. Die siebenköpfige Jury «Goldener Schemel» unter dem Präsidium von Kathrin Hilber hat sich für eine Auszeichnung der Anlagen der Bischoff Textil AG östlich der Kreuzbleiche in St. Gallen entschieden. Gegründet wurde die Firma Bischoff-Hungerbühler & Cie. während der grössten Absatzkrise der Stickereiindustrie Ende der 1920er-Jahre durch Otto Bischoff. Während der Kriegszeit erweiterte das in St. Gallen, Degersheim und Diepoldsau tätige Unternehmen mit rund 500 Werktätigen die Produktion auch auf Damen-Regenmäntel und Schürzen (Matador) sowie Taschentücher und Vorhänge. Mit dem Kriegsende 1945 setzte eine stürmische Neuentwicklung ein. Bischoff Textil-Filialen entstanden in New York, England und Südafrika.
Um Büros und Fabrikationsbetriebe zu konzentrieren, erwarb die Firma Bischoff Textil AG 1953 das zentrumsnahe Grundstück an der Bogenstrasse in St. Gallen. Entwerfer der Überbauung waren Architekt Albert Bayer SIA und Scheitlin, Hotz & Zähner, Ingenieur, St. Gallen. In einer ersten Bauetappe entstanden die Produktionshallen für die Maschinenstickerei. Zwei in Eisenbeton ausgeführte Hallenbauten mit Sheddächern für die für zwanzig rund 13 Meter langen Stickmaschinen erstrecken sich in Richtung Burgstrasse. Der Bau des in den originalen Blau-Weiss-Farben erhaltenen „Hochhauses“ wurde 1957 vollendet, als zweiter Hochhausbau in der Stadt nach dem Wohnhochhaus von Danzeisen & Voser 1951 an der Zürcherstrasse. Eine Eisenbeton-Skelett-Konstruktion und vorgespannter Beton ermöglichten offene Raumdispositionen mit durchgehenden Fensterflächen. Glasbausteinwände und auch Terrazzano-Treppenläufe mit beheizbarem Treppengeländer stehen für hohe Qualität dieser Nachkriegsarchitektur.
Das festliche und lichte Sitzungszimmer im obersten Geschoss überrascht mit einer hausbreiten Wandmalerei «Kinderfest» des in St. Gallen bekannten Kunstmalers Willy Koch. Zudem beherbergt der Komplex noch heute die aussergewöhnliche Stickerei-Sammlung und -Bibliothek, deren Grundstock der Textilfabrikant Arnold Hufenus (1853-1931) gelegt hatte.
Die Auszeichnung «Goldener Schemel» würdigt zwar Baukultur, gilt aber Personen, die bewusst an solcher Baukultur festhalten und es verstehen, sie nachhaltig auch mit Neunutzungen zu bewirtschaften. So wurde der von Katalin Deér geschaffene Goldene Schemel den Personen der Geschäftsleitung der Bischoff Textil AG, Gwen Aubry und Wolgang Keller, Verwaltungsratspräsident Reto Spaar sowie Ehrenpräsident Max R. Hungerbühler gemeinsam übergeben.
(zvg. / Peter Röllin)
Die Jury Goldener Schemel 2019
Kathrin Hilber, Präsidentin Heimatschutz SG/AI
Werner Binotto, Architekt BSA HBK SIA, Kantonsbaumeister (bis 2019)
Daniel Cavelti, Architekt ETH SIA, Präsident SIA St. Gallen I Appenzell
Christa Köppel, Gemeindepräsidentin Widnau SG und Historikerin
Carlos Martinez, Carlos Martinez Architekten AG, Berneck
Agatha Nisple, Kulturvermittlerin, Appenzell
Peter Röllin, Kultur- und Kunstwissenschaftler, Rapperswil, assoziiert BSA, SWB
Adresse / Kontakt
Heimatschutz SG/AI, Davidstr. 40, 9000 St. Gallen – Tel. 071 222 07 20 – info@heimatschutz-sgai.ch
Natalia Bezzola: natalia.bezzola@heimatschutz-sgai.ch (Aktuarin Goldener Schemel) Tel. 079 703 76 93
Goldener Schemel – Glamour für die Baukultur
Intention: Die Sektion St. Gallen und Appenzell Innerrhoden des Schweizer Heimatschutzes will Baukultur sowie
den Umgang mit Landschaft- und Siedlungsräumen lokal und regional stärken. Ziel ist es, dem Heimatsschutz in
der Öffentlichkeit das erneuerte Profil des verlässlichen, kompetenten Partners in Fragen von Baukultur,
Gestaltung und Siedlungspolitik zu verhelfen. Der Award „Goldener Schemel“ markiert dank eines privaten
Sponsors eine schon in diesem Jahr zu vergebende Auszeichnung.
Bisherige Auszeichnungen:
2015 Denise und Rony Kolb-Ziegler für Umbau und Renovation ihres Wohnhauses Husen 7 in Berneck SG
2016 Stadtplanungsamt St. Gallen. Planungsprozess Bahnhof Nord.
2017 Bruno Bossart und Paul Knill, Archtekten BSA, für langjähriges Engagement Vermittlung Baukultur